"Mein Physiotherapeut ist jedes Mal aufs Neue überrascht, wie sehr er bei der Behandlung meinen Körper verdrehen und wenden kann ohne mich aufzuwecken und somit die Schlafphase zu stören."
Extrem-Radsportler Christoph Strasser über sein Training und Physiotherapie
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Christoph Strasser ist Extremsportler und fünffacher Gewinner des Race Across America. Wir haben ihn zu Training, Motivation und eines der längsten Rennen der Welt befragt.
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Christoph, du hast erst mit 18 Jahren begonnen dich für den Radsport zu interessieren. Und du hast dich extrem schnell hochgearbeitet. Was hat dich dabei am meisten unterstützt?
Zu Beginn ist die Freude am Sport das wichtigste, das „Sich-Ausleben“ und das Sammeln eigener Erfahrungen. In den ersten Jahren sind hochprofessionelle Tipps und Trainingsplanung meiner Meinung nach gar nicht wichtig, da muss man sich selbst und seine Reaktion auf die sportlichen Betätigungen erst kennen lernen. Im Laufe der Jahre ist dann Unterstützungen durch diverse Profis immer wichtiger. Das gilt für die Trainings- und Ernährungsplanung durch einen Coach, die Regeneration durch Physiotherapeuten und auch die mentale Fokussierung durch einen Sportpsychologen oder Mentaltrainer. Mit meinen eigenen Trainingsideen kam ich auf ein gewisses Level, aber um auf Top-Niveau aufzusteigen, brauchte ich Unterstützung.
Hattest du einen eigenen Trainer/Physiotherapeuten?
Ja, aber nicht immer. Physiotherapeuten waren und sind für mich in erster Linie während den Ultra-Radrennen und in der unmittelbaren Vorbereitung sehr wichtig, ein Coach hingegen muss das ganze Jahr für mich da sein und mein Training steuern. Ich hatte auch Jahre, wo ich alleine trainierte, und das auch sehr gut. Jedoch die letzten paar Prozent der Leistungsfähigkeit konnte ich dort nicht ausschöpfen.
Wie sieht dein Trainingspensum aus?
Momentan ist es unglaublich hoch und auch intensiv. Zwischen Dezember und Ende Mai – also bis kurz vor dem Start des RAAM (Race Across America) – saß ich 770 Stunden im Sattel, im Winter sehr viel davon am Heimtrainer. Nach dem RAAM wurde der Umfang natürlich weniger, jedoch eine komplette Pause gab es bisher noch nicht, die wird erst im November, nach dem letzten Wettkampf stattfinden. Mein ganzes Training findet am Rad statt, zusätzliches Krafttraining an Geräten mache ich nicht – das kann individuell für Athleten sinnvoll sein, muss aber nicht jedem etwas bringen.
Ab wann konntest du vom Sport leben?
Zur Zeit geht es mir sehr gut, mein Wunsch war immer meinen Sport – mein Hobby – zum Beruf zu machen und davon leben zu können. Reich werde ich nicht davon, aber reich ist nicht der, der viel Geld verdient, sondern der das tun kann, was er gerne tut! Seit dem RAAM 2011, wo ich den ersten Sieg erreichen konnte, entsteht immer mehr Interesse an meinen Vorträgen. Mittlerweile habe ich im Schnitt ein bis zwei Vorträge pro Woche, meistens in Unternehmen zum Thema Motivation. Sponsoren ermöglichen mir die Teilnahme an Rennen, die Vorträge sind dann meine Lebensgrundlage. In Zukunft wird es wohl verstärkt in diese Richtung gehen.
Im September 2015 bist du mit rund 45 km/h auf einer Trainings-fahrt gestürzt, nachdem dich ein Auto - aus einer nachrangigen Querstraße kommend - rammte. Ein Bruch der rechten Kniescheibe, eine gravierende Verletzung der rechten Schulter und ein Bändereinriss an der linken Schulter waren die Folge. Dein Statement danach war: „Als Rennradfahrer ist man dem Risiko im Straßenverkehr ausgesetzt. Ich hatte im Laufe meiner Karriere viel Glück, oft ist es gut gegangen, jetzt hatte ich halt mal Pech... Ich werde 2016 wieder topfit sein.“
Wie ist auf deinem Weg zurück gegangen?
Im Gegensatz zu vielen anderen gestürzten Radfahrern, habe ich nicht zuerst nach meinem Rad geschaut, sondern meine Schulter angefasst und mir nur „Scheiße!“ gedacht, mir war sofort klar, dass da sehr viel kaputt war. Die gebrochene Kniescheibe bemerkten wir erst später im Krankenhaus, weil ich nicht mehr aus eigener Kraft vom Rollstuhl aufstehen konnte und ich auf ein Röntgen bestand. Der Weg zurück war lange, aber durch eine ausgezeichnete Versorgung im UKH Graz und einer erfolgreichen J-Span OP waren sehr schnell Schritte nach vorn zu erkennen. Mit meinem Physiotherapeuten hatte ich von jeder Behandlung zur nächsten kleine Ziele und Hausaufgaben erarbeitet, sodass ich jeden Tag einen winzig kleinen Teil zur Genesung beitragen konnte. Diese Mini-Schritte motivieren und geben Hoffnung, auch wenn das große Ziel noch weit entfernt ist. Das ist bei einem RAAM übrigens ganz gleich!
Das Race Across America ist ein beinhartes Rennen. Rund 8 Tage bist du an deinem Limit. Wie sieht da deine Verpflegung aus?
Die Verpflegung ist zwar sehr simpel, aber zugrunde liegt ein sehr fein ausjustiertes Ernährungskonzept. Es ist im wesentlichen eine 300kcal-Packung Flüssignahrung pro Stunde, garniert mit einem Kohlehydrat-Elektrolytgetränk, das je nach Temperatur und aktueller Leistung verschieden dosiert wird. An sehr heißen Tagen komme ich auf eine Flüssigkeitsmenge von einem Liter pro Stunde, mit zusätzlich Salz- und Mineraltabletten zur Supplementierung der über den Schweiß ausgeschiedenen Substanzen. Feste Nahrung gibt es während des Rennens nur für die Betreuer, ich darf an den Cheeseburgern maximal riechen…
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Wie kann man sich dort die Tätigkeiten von deinem Physiotherapeuten vorstellen?
Der Physiotherapeut hat im Idealfall nur in den Pausen zu tun, die pro Tag etwa eine Stunde dauern. Während der Fahrt melde ich bestimmte Schmerzen frühzeitig, damit sich mein Betreuer schon genau überlegen kann, wie er therapiert. Meistens geht es um die Lendenwirbelsäule, den Nacken und auch die Kniegelenke, muskuläre Probleme habe ich durch die gute Fitness eher selten. Während ich schlafe, wird dann therapiert. In der einen Stunde bekomme ich dann von den Faszienbehandlungen, Lymphdrainagen, Mobilisationen und sogar manualtherapeutischen Techniken gar nichts mit. Mein Physiotherapeut und Osteopath Thomas Marschall ist jedes Mal aufs Neue überrascht, wie sehr er bei der Behandlung meinen Körper verdrehen und wenden kann ohne mich aufzuwecken und somit die Schlafphase zu stören – aber mich trotzdem effektiv zu behandeln. Wenn es wirklich gröbere Probleme gibt, dann müssen wir auch während der Fahrt eine kurze Pause einlegen um schnell zu reagieren, wie zB Tapes anzulegen.
Worauf möchtest du am wenigsten verzichten?
Auf großartige Therapeuten, wie ich sie als Unterstützer habe im generellen. Ich vertraue ihnen einfach und weiß daher gar nicht, wie all die Techniken im Detail genannt werden – aber Hauptsache sie funktionieren!
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